Farbe und Kunst, Glanz und Gloria
Malerei im Kino-Breitbildformat: Irina Düsterhöft aus Bruchköbel steht für cineastische Malerei – Wurzeln in der Werbung nicht zu verleugnen
Irina Düsterhöft (38) gehört zu jener Generation russischer Künstler, die ihr Studium im Aufwind der Perestroika absolvieren durfte. „Wir hatten die Veränderungen lange gespürt und plötzlich war es mir, als sei ein Knoten geplatzt“, erinnert sie ihre Zeit an der Muchina Hochschule für dekorative und angewandte Kunst in St. Petersburg, die sie 1990 mit Auszeichnung verließ. Dem Umfeld aufstrebender, innovativer und kritischer Kreativer entsprungen, wurde Irina schnell zum Mitglied im Atelier Grafikdesign des Kunstbunds Russlands berufen. Wenig später arbeitete sie bereits mit Galerie in St. Petersburg, Paris, Oslo, Stuttgart oder Basel zusammen.
1994 kam sie nach Hanau. Heute hat sich die passionierte Malerin in Bruchköbel selbständig gemacht. Auftragsarbeiten, Projekte für die Werbeindustrie oder im Bereich Webdesign beschäftigen Irina neben ihrer Kunstschule für Kinder „Meine Welt“ so sehr, dass sie kaum mehr Zeit für die eigenen Musen findet. Wenn es sie allerdings vor die private Leinwand zieht, kennt ihre Begeisterung keine Grenzen. Dann schwingt sie den Pinsel wie Maria Sharapova ihr Racket – und das Ergebnis ist ebenso beeindruckend.
„An der Hochschule lag mein Schwerpunkt auf den neuen Medien und der Grafik“, berichtet Irina. Gleichzeitig habe sie sich intensiv mit klassischer Malerei und Zeichnung auseinander gesetzt.
Ihre aktuellen Arbeiten stellen vor diesem Hintergrund einen heftigen Flirt zwischen modernen Ausdrucksformen und klassischen Stilelementen dar. Comic trifft dabei auf photorealistische Malerei. Irinas Werk ist von Einflüssen aus Jugendstil, Barock, Renaissance oder Gothik durchdrungen und besitzt doch die packende Aura der Leuchtreklame an Time Square oder Piccadilly Circus.
Was zuerst wie ein farborgastisches Zitat zügelloser Spontanität anmutet, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als in Perfektion ausgewogene Komposition zwischen dynamischen Elementen und ruhenden Partien. Stickerein, angenähte Perlen oder andere Applikationen garnieren die Ölgemälde der Bruchköblerin, die jedes als Brief an den Betrachter versteht. „Besonders in meinen thematischen Bildern will ich meine Meinung mitteilen“, berichtet sie. Dabei stelle das oberflächlich Gezeigte nur eine unter vielen Bedeutungsebenen dar.
„Wie ein gutes Buch über einen Text zwischen den Zeilen verfügt, sollten auch meine Bilder nicht immer unmittelbar offen legen, was ich denke“. Der Eindruck des Plakativen trügt: Im glamourösen Bild „Tango in Paris“ verherrlicht Irina beispielsweise weder Schein, noch die Dekadenz der französischen Oberschicht der Goldenen Zwanziger. Stattdessen übt sie symbolträchtig Gesellschaftskritik, prangert Chauvinismus an und wagt einen satirischen Blick auf die käufliche Liebe.
In „300 Jahre St. Petersburg“ tritt ein anderes Gestaltungsprinzip Irinas hervor: Deutlich verweist sie auf ihre beruflichen Wurzeln in der Werbung, wenn sie verschiedenste Szenen, architektonische Highlights und Landschaftsimpressionen aus ihrer Heimatstadt fast Collage-artig auf eine großformatige Leinwand malt. Das der russischen Ikonenmalerei entliehene, episodische Erzählprinzip verhilft ihren Arbeiten zu einer cineastischen Note.
Irinas Kunst hat narrativen Charakter. Das Petersburg-Bild gibt unter diesem Anspruch Einblick in Kultur, Geschichte und das urbane Umfeld. „Zweifellos sind originäre Ideen die Vorraussetzung aller Kunst“, betont Irina. Allerdings gehöre zum Künstlertum mehr, als lediglich die konkrete Vorstellung im Kopf. „Ich muss Konzepte auch handwerklich umsetzen können, dabei zu meinem eigenen Stil finden.“ Russland hat Irina als perfekte Schule erlebt. Der Versuchung, traditionell russisch-süß zu malen, hat sie allerdings widerstanden. „An der Hochschule lernen wir natürlich, wie Cezanne, Matisse oder Rembrandt gemalt haben“, erklärt sie. Die Kopie komme für sie allerdings nicht in Frage: „Es ist schwer, die Kunst um etwas völlig Neues zu bereichern. Das bloße Nachahmen ist trotzdem kein Ausweg aus diesem Dilemma.“
Die prächtige Opulenz des Düsterhöftschen Oeuvres schließt wahrlich nicht aus, dass Irina Details fokussiert, Nuancen abzubilden vermag. Deutlich wird das auch in ihren filigranen, grafischen Arbeiten. Unter anderem wirkt sie hier in der eher unüblichen Technik des Kartondrucks. Eigentlich schwebte der schönen Russin eine Karriere am Ballett vor, die sie wegen schnellen Wachstums wieder aufgeben musste. Ihrer Liebe zu Tanz und Theater hat sie inzwischen zahlreiche Themenarbeiten gewidmet. Nach Abschluss des Studiums entwarf sie in St. Petersburg vor allem Plakate für Bühneninszenierungen.
Venedig, Las Vegas, Frankfurt oder München hat Irina in den letzten Jahren zum Blickpunkt ihrer Bilder erhoben. Aktuell skizziert sie eine Serie über Bruchköbel und plant, sich den Schönheiten Hanaus künstlerisch anzunehmen: „Schloss Philippsruhe, Wilhelmsbad oder das Goldschmiedehaus möchte ich unbedingt einmal abbilden“, verrät sie. Nur Zeit findet sie nicht. Jüngst organisiert sie mit der Stadt Bruchköbel einen Kunstwettbewerb für Kinder, bei dem möglichst viele Bilder zum Thema Fussball-Weltmeisterschaft entstehen sollen. „Die Arbeit mit jungen Menschen bedeutet mir sehr viel.“
Gerne verweilt das Auge auf ihren Bildern, die in all ihrer Fröhlichkeit und Nostalgie immer wieder Neues entdecken lassen. Farbe und Kunst, Glanz und Gloria – das ist die Welt, in der Kreativ-Zarin Irina Düsterhöft stets mit einem ironischen Augenzwinkern geballt darstellt, was tausende Worte zur Beschreibung bräuchte.
Maryanto Fischer
Am Freitag, 1. September, stellt Irina Düsterhöft unter dem Titel „Farbklang“ gemeinsam mit Martina Roth und Orlando Schnabel im Hanauer Congress Park aus. Die Vernissage beginnt um 19 Uhr. Ab Freitag, 29. September, sind Bilder zu lokalen Themen in Bruchköbel zu sehen. Kontakt zur Künstlerin und ihrer Kinderkunstschule kann unter 06181/574308 aufgenommen werden.
Das Bild „Tango in Paris“ von Irina Düsterhöft kritisiert unterschwellig das Pariser Savoir-Vivre zu den Glanzzeiten des Moulin Rouge
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